ICH-Syndrom (oder I-C-H-Syndrom)

ICH-Syndrom (oder I-C-H-Syndrom)

Ich gebe zu, dass ich mich schon ganz gerne mag und gern im Spiegel betrachte. Um als Künstler im Konsumkarussell der Musik Erfolg und überhaupt Beachtung zu bekommen, muss man schon sehr an sich glauben und sich ständig selbst motivieren. Ich glaube an mich. Bin ich nun selbstverliebt oder selbstbewusst? Wo liegt der Unterschied? Es gibt viele Phrasen für den persönlichen Weg: Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott für den Gläubigen, der Amerikaner hat seinen Traum und der Deutsche bekommt ohne Fleiß leider auch kein Preis. Doch mich nervt zunehmend, dass alle nur noch mit sich selbst beschäftigt sind. Ich nenne es das I-C-H-Syndrom oder ICH-Syndrom. Es erscheint in seinen bunten Ausprägungen als Selfness, Selbstverwirklichung, sich selbst der Nächste sein, einfach mal man selbst sein, sich selbst finden. Die Selbstratgeber füllen ganze Regalreihen in den Buchhandlungen. Und soviel Verkehr auf dem Jakobsweg gab es auch noch nie.

Selbstlos sein klingt heute fast wie Selbstaufgabe. So zeigt das ICH-Syndrom seine hässliche Fratze beim Vordrängeln an der Kasse (man hat ja wenig Zeit), beim Kampf um den Parkplatz (mit SUV parkt man sowieso nur zweite Reihe), den Gehaltsbonus (was bin ich wert), den Liegestuhl, den Sitzplatz im Restaurant. Mit wem gehe ich aus welchem Grund essen, hilf Du mir, so helf ich Dir, kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, ich hab noch einen Gut bei Dir, kannst du mir da einen Kontakt herstellen? Alles muss irgendwie einen Zweck haben. Den Zweck, dass es mir besser geht. Vom ICH-Syndrom zur ICH-Inflation. Hier versagt Adam Smith‘s Invisible Hand. Obwohl es uns durch die Selbstverwirklichung besser gehen soll, geht’s uns allen irgendwie schlechter. Aus Zivilcourage wird zu viel Courage. Wer will schon seinen Hals riskieren, für jemanden den er nicht kennt und für etwas was ihm nichts bringt. Außer Ärger. Einfach mal bei sich bleiben. Undank ist der Weltenlohn.

ICH-Syndrom in Tönen

Dazu mein musikalischer Beitrag, der Song „ICH-Syndrom“ auf iTunes oder Amazon.

Den Text gibt’s hier.