Milchschaumplantage

Milchschaumplantage

Auch wenn früher vieles besser war. Es gibt Dinge die man einfach nicht mehr vermisst. Wie z.B. diese schwarz-silberne Filterkaffethermoskanne mit Druckdispenser, oft anzutreffen in Konferenzräumen und Behörden. Durch rhythmisches hämmern auf den abgenutzten Plastikknopf erbrach sich die darin verborgene sodbrennende schwarze Brühe in die Konferenzgeschirrtasse und starrte einen bis zur Vernichtung böse an. Das Zuführen der beiliegenden, in Plastik eingeschweißten Kondensmilch (haltbar bis zur nächsten Jahrtausendwende) konnte das Geschmackserlebnis kaum verbessern. Daher war ich zunächst froh, als der Amerikaner gegen das Kaffe-Elend unternehmerisch zu Felde zog. Es klang viel besser und polyglotter bei Starbucks einen Cafe Latte, als bei Erna einen Pott Filterkaffe zu bestellen. Doch hatte ich den kulturellen und sprachlichen Kollateralschaden des amerikanischen Kaffe-Imperialismus unterschätzt.

Es ist mir heute unangenehm, meinen Kaffewunsch öffentlich zu äußern. Auf meine einfache Bestellung „Ich hätte gerne einen Milchkaffe“ bekomme ich beim Szene-Barrister regelmäßig folgende Nachfrage: „Small, Medium oder Tall? Double oder Single Shot? Für hier oder to go? Die Milch low fat, laktosefrei, Mandel- oder Sojamilch?“. Wahnsinn. Benötigte Informationstiefe für ein vermeintlich einfaches Heissgetränk wie beim Abschluss einer Krankenversicherung . Ganz zu schweigen vom kleinen Imbiss dazu. Wo früher ein belegtes Käsebrötchen und der Marmorkuchen im Serviertresen mich anlächelten, kämpfen heute das Low Carb Caprese-Tuna Roll mit Cottage Cheese gegen den Double Chunk Super Fudge Chocolate Pie um meine Aufmerksamkeit.

Der Siegeszug dieser Ernährungskultur geht Hand in Hand mit der fortschreitenden Gentrifizierung der hippen Stadtteile unserer deutschen Metropolen. So kann man den Gentrifizierungsgrad des jeweiligen Stadtteils heute am durchschnittlichen Pro-Kopf-Milchkonsum der dort lebenden Mitbürger feststellen. Platz 1 der Pro-Kopf-Milchkonsum-Hitliste ist Berlin Mitte. In den dort pulsierenden Milchschaumplantagen schlürfen Szene-Nomaden erstaunliche Mengen der Kaffe-Milchfett-Wasser-Emulsion vor ihrem aufgeklappten MacBooks bei der Arbeit am Projekt. Auf den Wegen flanieren die Macchiato-Mütter mit den farblich zum Outfit abgestimmten Bugaboo-Kinderwägen mit eingebautem Kaffebecherhalter. Eine perfekte Symbiose von Mensch und Umwelt. Wenn ich es mir recht überlege – so schlecht war das mit dem Pott Filterkaffe mit Kästestulle bei Erna damals doch nicht.

Und weil mich das Thema so fasziniert hat, hier der Link zum Songtext „Auf den Milchschaumplantagen Berlins“.

MILCHSCHAUMPLANTAGE ALS MUSIK

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