04 Sep Ich hab twitter
Nun hat es auch mich erwischt. Ich twittere. Wie bei vielen großen Erfindungen, entstand die Idee für twitter in Deutschland. Im 18ten Jahrhundert entwickelte Schiller die Basis für das spätere Kommunikationstool und fasste es prägnant in einem Satz zusammen:
„Was ist der langen Rede kurzer Sinn?“.
Leider war er seiner Zeit voraus. Er kannte auch nicht die passenden Software-Nerds, die ihm seine Vision in ein schickes Computerprogramm packen konnten. Tragisches Schicksal eines großen Visionärs. Aber mit Tragik hatte er es ja.
Twitter passt perfekt in unsere heutige Zeit. Die ist kurz und kurz ist unsere Aufnahmefähigkeit für Informationen. Wir wollen alles sofort und komprimiert serviert. Lag die menschliche Aufmerksamkeitsspanne vor 500 Jahren noch bei 40 Minuten (Martin Luther: „Ihr könnt predigen, über was ihr wollt, aber predigt niemals über vierzig Minuten“) hat sie sich heute auf 140 Zeichen reduziert. Selbst in der Kultur. Aus Dichtung wird Verdichtung. Fassen wir uns kurz, da liegt die Würze. Wagners Ring als Erzfeind der Verkürzungskultur. Zwar kommt diese verdichtete Sprachtechnik dem männlichen Kommunikationsverhalten extrem entgegen (kein Wunder, dass twitter von Männern entwickelt wurde), doch sollte man auch anerkennen, dass eine knappe, prägnante Formulierung durchaus intellektuelle Hochleistung und Bearbeitungszeit erfordert. Dies erkannte schon Frau Stein als sie an Goehte schrieb „Lieber Freund, entschuldige meinen langen Brief, für einen kurzen hatte ich keine Zeit“.
Inhalte in kurze Sätze zu packen begegnet mir ständig beim Texten meiner Lieder. Die Musik gibt nur wenig Platz für lange Zeilen. Da kämpfe ich um jedes Wort. Und daher ist twitter für mich eine unterhaltsame Spiel- und Übungswiese. Ich bin ja kein Rapper oder Romancier. Noch nicht. Sobald eine Wahrheit aus mehr als 140 Zeichen besteht, nähert sie sich schon dem Roman, sagte so ähnlich Jules Renard vor 100 Jahren mal. Als Neueinsteiger ist man erstaunt, was ein Twitteraner so täglich von sich gibt. Man sieht das auf seiner TL (Timeline) und diskutiert mit Followern digital über das RL (Real-Life). Die Welt hat sich gewandelt. Früher hätte ich Angst gehabt, wenn mir Unbekannte plötzlich in Scharen folgen. Bei twitter ist es nun mein Statussymbol. Unbekannte folgen Deinem Leben in 140 Zeichen. Ich hab twitter.
Handzahm auf twitter
Unter Heinrich@handzahm findet man mich dort, wer nachsehen möchte.